Gemeinde – Organismus oder Organisation?

Da ich gerade viel unterwegs oder einfach damit beschäftigt bin, das Ende meiner Elternzeit zu genießen, komme ich derzeit nicht so oft dazu, meine Gedanken in Beiträge zu gießen.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle einen Artikel teilen, den ich vor ein paar Monaten für die Korrekte Bande geschrieben habe.

Er handelt von unserer Vorstellung darüber, was Kirche bzw. Gemeinde ist, und dass unser Bild davon, wie das so auszusehen und zu funktionieren hat, stark von Prägungen beeinflusst wurden, die so überhaupt nicht von Jeshua kommen, der vom Reich Gottes gesprochen hat…

Wir können heute nicht exakt rekonstruieren, wie Jeshua sich das vorgestellt hat- die Sache mit Petrus, dem Stein, der Gemeinde (so er dieses Wort überhaupt ursprünglich benutzt hat, dazu gibt es verschiedene Ansichten).

Wir können allerdings eine breitere Palette erstellen dessen, wie es noch aussehen könnte, heute hier und jetzt etwas mitzugestalten, was das Geheimnis des unerschöpflichen Lebens weiter lebendig erhält und teilt- und so zu einem gesellschaftlichen Gegenentwurf wird (ja, auch und gerade zur religiösen Landschaft!), der eine liebende Schöpfer:innenkraft bezeugt, die Gefangenen befreit und zum Segen für alle Menschen wird.

Und ja, wir dürfen auch historisch sehr verfestigte Strukturen hinterfragen, hallelujah. Wir müssen es sogar unbedingt, wenn wir Machtsysteme überwinden wollen, welche im Zusammenhang mit fragwürdigen theologischen Inhalten an den Bedürfnissen von Menschen vorbeiagieren und eher als Normierungsinstitutionen denn als Zellen für kreativen und liebevollen Widerstand fungieren. Lasst uns Kirche und Gemeinde vor diesem Hintergrund reflektieren.

Ich möchte andere Formen von Segenskreisläufen erkunden und mitgestalten. Welche die nicht so sehr mit festen exklusiven kirchlichen Organisationen, die sich in ihren kirchlichen Räumen treffen um kirchliche Veranstaltungen abzuhalten, zu tun haben.

Sondern die ganz anders aussehen und viel gestaltbarer sind für das große liebevolle Schöpferische.

Ich möchte Prägungen, die mich von der Welt wegziehen, anstatt zu ihr hin, abschütteln wie Staub, und weitergehen und die Wege hinter offenen Türen von Orten und Personen des Friedens erkunden und dort die heilige Geistkraft treffen, die längst da ist und uns einander vorstellt.

Hast du auch Lust darauf?

Hast du auch schon entdeckt, wie solche Segensnetzwerke entstehen können, ganz abseits von in großem Stil durchorganisiertem Gemeindebau, und wie die trotzdem (oder gerade deshalb) so richtig doll nach einem Reich der Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit riechen? Ich freu mich davon zu hören. 🙂

Und nun noch der Artikel zum Nachlesen:

Gemeinde ist das, was wir nicht in der Hand haben (2/2020)

Veröffentlicht am

Hand auf’s Herz: Wenn du das Wort „Gemeinde“ oder vielleicht auch „Kirche“ hörst, an was denkst du? Mir fiel in den letzten Jahren auf, dass es ein relativ starres Bild von Gemeinde gibt, das sich selbst in Freakskreisen sehr vehement durchgesetzt hat und immer wieder hartnäckig reproduziert wird. Selbst von denen, die ahnen, dass das vielleicht gar nicht der einzige Weg ist, die Sache mit Jesus zu verstehen und fortzuführen. Gleichzeitig bleiben aufgrund fehlender Alternativen immer mehr Menschen nicht nur den Christ:innen, sondern auch dem Glauben fern. Höchste Zeit, sich die Sache einmal genauer anzuschauen.

Die klassische Gemeinde ist ziemlich statisch

Das Bild, welches gewohntermaßen beim Begriff „Gemeinde“ auftaucht, ist die Vorstellung von einer abgegrenzten Organisation aus Christ:innen, mit regelmäßigen Gottesdienst-Veranstaltungen (meist mit überwiegend frontalem Programm) and klaren (zeitlichen und örtlichen) Treffpunkten. Ob es eine stark verbindliche Zugehörigkeit gibt, wird dabei verschieden gehandhabt. Es gibt Programme, geregelte Abläufe und Angebote, die von manchen mitgestaltet und von anderen konsumiert werden. Einige fühlen sich in solch einer Organisation gut aufgehoben und machen bereichernde Glaubenserfahrungen. Manche wissen es zu schätzen, dass sie einfach nur hinkommen und da sein können. Das ist eine Gemeinde, die du klar benennen kannst, wenn dich jemand fragt, „in welche Gemeinde du gehst.“

Alternative Organisationen – still haven’t found what I’m looking for

Manche Menschen haben sich abgewandelten Formen zugewandt und betrachten z.B. einen Hauskreis, eine Lebensgemeinschaft oder ein Begegnungscafé als etwas Gemeindeähnliches. Auch diese Strukturen bedürfen einer geregelten Organisation und eines gewissen Grads an Verbindlichkeit von Mitgliedern, um zu funktionieren. Auch dort können in Gemeinschaft Lieder gesungen, Gebete gesprochen, geistliche Impulse geteilt, die Schrift ausgelegt oder Glaubensschritte eingeübt werden.

Umso erstaunlicher war es für mich immer wieder zu hören, dass viele dieser Gruppen sich sehr schwer tun, sich als vollwertige Gemeinde zu bezeichnen aufgrund fehlender öffentlicher Gottesdienst-Veranstaltungen. Und vielleicht auch, weil der feste Kern doch eine relativ exklusiv funktionierende Gruppe ist. Abhilfe geschieht dann nur selten dadurch, an der eigenen Gemeinde-Identität anzusetzen, sondern vielmehr wird das eigene Projekt durch punktuelle Besuche einer „richtigen“ Gemeinde ergänzt. (So besuchen manche z.B. Programme für Kinder oder zu Weihnachten mal einen „richtigen“ Gottesdienst, wie mensch ihn klassischerweise kennt.) Mich beschäftigt diese Beobachtung sehr, weil sie zeigt, dass das klassische Gottesdienstbild sehr wirkmächtig ist, durch welches oft ein Minderwertigkeitsempfinden herrscht, obwohl doch ein öffentliches Programm nicht das Kriterium dafür sein sollte, ob eine Gemeinschaft jesusmäßig unterwegs ist oder nicht.

Stell dir vor, es ist Gemeinde und niemand geht hin

Aus diesem Grunde – dass ein Programm nicht maßgeblich sein sollte – pflegen manche einfach nur noch einen christlichen Freundeskreis und erhoffen sich, dass dieses Netzwerk als Gemeinde-Ersatz taugt. Erstmal ein lohnenswerter Ansatz – so kann auch gut der burnoutprädestinierten Maschinerie entkommen werden, zu dem eine Gemeinde mit vielen Mitgliedern dann doch schnell mal werden kann.

Doch auf der anderen Seite vom Pferd wartet auch ein bisschen Potential, sich etwas vorzumachen: So eine Gemeinschaft bietet zwar theoretisch die Möglichkeit, dass jederzeit über Glaubensthemen gesprochen und auch mal gebetet werden kann. In der Realität taucht aber die Frage auf, inwiefern sich die Freundschaften doch auch ganz gut selbst genügen, sodass es irgendwann eigentlich nur noch darum geht, eine nette Zeit in einer kleinen homogenen Gruppe miteinander zu haben, zu grillen oder zu brunchen. Spirituell kann solch eine Gemeinschaft irgendwann eher einem stehenden Gewässer ähneln anstatt einem sprudelnden Bach. Inwiefern anders tickende oder am Rand stehende Menschen etwas von der gemütlichen Runde haben und inwiefern Glaube dadurch frisch und fruchtig bleibt und ein Verb statt Überzeugungen, ist dann so eine Sache … und ja, dann ist die Frage auch berechtigt, inwiefern das Ganze tatsächlich das abbildet, was Gemeinde eigentlich soll, nämlich Jesus. Ergänzende Online-Impulse wie theologische Vorträge, kreative Aktionen oder Festivals hinterlassen dennoch oft den Gedanken, dass derlei über’s Jahr verteilte Glaubens- Puzzeleien doch kein Ersatz für eine „richtige“ Gemeinde sind … aber die will mensch doch auch gar nicht mehr. Aber was denn dann? Und was will eigentlich Jesus? 

Ist da noch mehr?

Natürlich können je nach Mensch und Lebensphase verschiedene dieser Strukturen hilfreich und wichtig sein – sich verbindlich in eine kirchliche Gruppe einbringen wie auch eine andere Art von Projekt auf die Beine stellen. Oder eben auf Abstand zu gehen mit Formen, die der eigenen Lebens- und Glaubensrealität gar nicht mehr entsprechen und sich erstmal auf Gemeinschaft zu besinnen.

Es geht gar nicht darum, bestimmte Konzepte an sich nicht mehr zu billigen. Jedoch ist es sehr bezeichnend, dass in der Art, ob und wie Gemeinden konstruiert werden, immer wieder nur eine Definition von Gemeinde sich wirklich durchzusetzen scheint.Absurd ist das Ganze deswegen, weil Jesus uns nie dazu aufgefordert hat, Gemeinden nach dieser Definition zu gründen und am Leben zu halten.

Sitzgemeinschaften statt Laufbegegnungen

Das Bild von einer Kirche, in die man gehen kann und in der geregelte Gottesdienste stattfinden, in die man „sich reinsetzen“ und die man „verlassen“ kann, beruht auf Interpretationen, die sich durchgesetzt haben und zu bestimmten Konzepten und Institutionalisierungen führten.

Schon Petrus und Paulus haben bestimmte Aspekte des Gemeindelebens entworfen und geprägt, die nicht von Jesus selbst vorgegeben worden sind. Diese von ihnen für eine bestimmte Gegend und Zeit angefertigten Skizzierungen, das Ausprobieren und Anwenden werden zudem ausschließlich auf Organisationen bezogen gelesen. Weil wir Kirche nur so kennengelernt haben, weil es sprachlich und habituell unhinterfragt weitergegeben und reproduziert wurde. Dabei gäbe es vielfältige Möglichkeiten, „Weide meine Schafe“ (Johannes 21,15-19) oder „Sie blieben beständig in dem, was sie gelernt haben; und in Gemeinschaft“ (Apostelgeschichte 2,42) anders umzusetzen, als eine religiöse Institution aufzubauen und zu verwalten.

Nach den Aposteln wurden verschiedenste Sachverhalte von prägenden Personen miteinander diskutiert und dann in einer bestimmten Richtung festgelegt, sodass sich auch die Vorstellung verfestigte, dass zur Nachfolge eine Religion namens Christentum gehört und Kirche eine feste Ansammlung von Christen in einem Gebäude ist, in dem Gottesdienste stattfinden, wo wenige vielen wöchentlich etwas beibringen.

Nun ist es vielleicht ein alter Hut, dass alle Menschen, die Gottes Liebe für sich entdeckt haben, die weltweite Kirche darstellen und „unser ganzes Leben ein Gottesdienst sei“ (Römer 12,1-2). Warum verhalten sich denn dann aber die allermeisten Christ:innen nicht so? Sondern bestehen darauf, weiterhin ein anderes, vielleicht von Anfang an völlig missverstandenes Bild von Kirche(n) aufrecht zu halten?

Kann Gemeinde nur ohne Gemeinden funktionieren?

Wie könnten andere Bilder von Gemeinde aussehen – könnte sie auch ganz anders funktionieren?

Für mich ist eine Aussage von Jesus erneut wichtig geworden, nämlich die: Nicht wir werden Gemeinde(n) bauen (also weder gründen, noch am Laufen halten, noch organisieren!), sondern er wird bauen (Matthäus 16,18). Oder genauer gesagt, sie – die heilige Geistkraft, die ihn abgelöst hat (Johannes 14-16).

Klingt vielleicht erstmal abgehoben – könnte aber vielleicht das einzige sein, was z.B. in diesen und künftigen Zeiten mit extrem hoher Fluktuation, Flexibilität, Diversität und Ambiguität der Lebendigkeit Gottes in menschlichen Gemeinschaften einen angemessenen Platz einräumen kann:

Da, wo z.B. verschiedene Gottesbilder im Raum sind, passt es vielleicht nicht mehr, nur ein einziges zu predigen, zu fördern und zu besingen und für die immer gleichen Menschen alles mögliche vorzugeben – wie könnte Gemeinschaft aussehen, die das anders handhabt? Und lässt sich sowas überhaupt in fest umgrenzten Organisationen umsetzen?

Da, wo die Geistkraft auch durch Kinder spricht, durch Unmündige, Ungebildete, Andersgläubige sprechen möchte – wie können wir Lehre (also Bildung in spirituellen Dingen) auf anderem Wege verstehen und erwarten als nur durch eine frontale Predigt von dafür ausgewählten und vorbereiteten Menschen?

Und was, wenn Jesus gerade nicht an den von uns vorgesehenen Treffpunkten zur von uns vorgegebenen Zeit durch unser vorbereitetes Programm handeln will – sind wir dafür überhaupt offen? Inwiefern können sich Programme und Gruppen auf so etwas überhaupt einlassen, wo sie vielleicht Klarheit, Vertrautheit und Beständigkeit bieten möchten?

Was, wenn Jesus nicht mal wollte, dass Menschen Christ:innen werden und ein Christentum praktizieren (also bloß eine weitere Religion, die dann aber „die richtige“ ist)? Was wenn wir uns einfach mit allen Menschen an einen Tisch setzen, uns einladen lassen, ihnen heilsam begegnen sollen, Glaubenssätze unserer eigenen Prägung hinterfragen und uns sogar von Menschen, die etwas anderes glauben als wir unsere eigene Sicht korrigieren lassen sollen? All das sind Dinge, die Jesus getan hat.

Was ist, wenn Gemeinde nicht deckungsgleich ist mit der Gruppe, mit der du dich jeden Sonntag triffst, und auch nicht mit deinem Hauskreis oder deiner Freundesrunde, sondern alle Menschen, mit denen du gerade in Kontakt bist, von denen du merkst, dass Gott sie dir in dein aktuelles Leben (oder dich ihnen) schickt und die dir irgendwie ans Herz wachsen? Was ist, wenn das gar nicht alles Christ:innen sind? (Und die das auch gar nicht werden müssen, weil Gott für alle Menschen gleichermaßen da ist?)

Ist es nicht solch eine Gemeinschaft, die den Namen „Gemeinde von Jesus“ erst so richtig verdient hat?

Und ja, dann ist es nebensächlich, ob du aktuell eine feste Gruppe mit Programmen besuchst und dort mitarbeitest, ob du eine andere Art von Gemeinschaft oder Projekt mitbetreibst oder ob du dich einfach mit Freund:innen triffst. Aber gleichzeitig ist dann auf einmal klar, dass all das nicht „Gemeinde“ ist und vielleicht ist es gut, wenn wir anders darüber zu sprechen beginnen.

Gemeinde ist das, was wir nicht in der Hand haben

Dann endlich darf Gemeinde das sein, was die kreative Geistin, die weht, wo sie will, gerade mit allen möglichen Lebewesen vorhat. Und das kann verrücktere und heilsamere Verbindungen und Ereignisse zustande bringen, als wir es mit unseren begrenzten Vorstellungen von Gemeinde je könnten. (Denn sobald wir diese auf etwas festlegen, kann Gott ja kaum noch dran rütteln, oder?)

Es können sich dann auch völlig unabhängig von bestehenden festen Gruppen fluide und flexible und nicht an Zeit und Raum gebundene Netzwerke bilden (und auch schnell mal ändern), die unsere größte Verbindlichkeit und Hingabe, unser bestes Organisationstalent und unsere kompetentesten Modelle für Gemeinde weit in den Schatten stellen.

Dann wäre es wieder authentisch zu sagen: God is in control (and she never makes mistakes?).

Das hieße auch Kontrolle abzugeben, indem wir eben nicht mehr von „Gemeinden“ sprechen und damit klar geregelte lenkbare christliche Organisationen mit Programmen meinen. Und dazu würde auch gehören, dass nicht wir beschreiben, wer zu welcher „Gemeinde“ gehört. Sondern dass wir das Gott entscheiden lassen, irgendwann mal zu beurteilen oder auch nicht.

Im Fokus steht dann stattdessen, dass die sich manifestierende Liebe Gottes sich unabhängig von religiösen Systemen auf alle (!) Menschen dieser Welt zubewegt und ihnen da heilsam und offen und ressourcenteilend begegnet, wo sich ihr Leben abspielt. Durch alle Menschen, die sich daran beteiligen. Und dass dabei unendlich viele ineinander verschränkte Netzwerke entstehen, sich verändern, nicht greifbar oder etikettierbar sind, aber trotzdem Halt geben und helfen, die Liebe untereinander zu erhalten.

Ein Traum von Gemeinde, die ganz anders ist als das, was gemeinhin als Gemeinde bezeichnet wird

Ich träume davon, dass in Zukunft mehr Platz ist für weiter gefasste Vorstellungen von Gemeinde. Und dazu wird gehören, dass wir den Begriff auch sprachlich anders verwenden. Ich bin überzeugt, dass darin ein großer Schatz liegt – gerade für gemeinde-müde Menschen. Und für Menschen, die (aus verständlichen Gründen) keinen Bock mehr auf Christentum haben, aber eigentlich das, was wir als von Gott kommend bezeichnen, auch gut finden und sich danach sehnen – ein versöhntes, liebevolles, erfülltes und friedfertiges Leben.

Ob ich „derzeit eine Gemeinde habe“? Fragen wie diese erübrigen sich mit dieser Perspektive, ja, sie machen überhaupt keinen Sinn mehr und sind sogar irreführend, weil sie komplexere Verbindungen nicht abbilden und wieder nur auf Organisationen mit Veranstaltungen abzielen, als seien diese ein selbstständiger Organismus. Sie sind es nicht.

Inwiefern in meinen sozialen Kontakten göttliche Inspiration sichtbar wird und an mir und anderen handelt und wirkt? Eine weitaus sinnvollere Frage. Und das hängt ganz allein davon ab, was seine kreative Kraft tut und ob ich sie erwarte und mich dafür öffne, auch außerhalb der planbaren Rahmungen. Und ich muss das nicht erst in einen Gottesdienst tragen, damit es wirkt und andere erreicht. 

Wir alle dürfen selbstständig und mündig als Priester:innen leben und uns bewegen. Wir dürfen uns verbindlich einbringen und Gott wird um jede:n von uns herum einen lebendigen Organismus manifestieren. Wow!

Gottes Gemeinde ist überall und nirgendwo, in dieser Welt verstreut und jeder Tag ist wieder ein Abenteuer mit dem Göttlichen, das so groß und differenziert und komplex funktioniert, dass keine Gruppe von Christ:innen es jemals definieren und verwalten könnte. Und gleichzeitig kann es in jeder Art von noch so bescheidener popeliger zwischenmenschlicher Zusammenkunft die vollste Auferstehungskraft zelebrieren. Wie geil ist das denn, hallelujah. Darin entdecke ich das Leben von Jesus wieder.  Das ist, wie ich Gemeinde verstehen will, wie ich Gott Gemeinde bauen lassen möchte- lasst sie uns nicht festhalten, wenn sie morgen weiter wehen will, als wir es heute rahmen können.


Sylvi Kegel (30) lebt mit Kind, Kegel und Katzen in Leipzig und schreibt seit kurzem über Glaubensveränderungen auf abseits.blog.

Dialog im Nebel

Wenn ich mit bekannten und viel gepflegten Anreden und Zuschreibungen Gottes nicht mehr so viel anfangen kann, wie kann ich denn dann etwas formulieren, was für mich einem Gebet entspricht?

Darüber mache ich mir häufig Gedanken. Bestimmte Arten zu beten vermisse ich kein bisschen. In den Gemeinden, die ich kannte, war immer klar, wenn jemand fragt, ob wir noch beten wollen, dann war damit gemeint, dass Menschen Worte sprechen. Oft war auch allen klar, wie so ein Gebet dann abläuft, und auch dort, wo vorformulierte Gebete tendenziell verpönt sind, bürgern sich dennoch mit der Zeit Floskeln und Phrasen ein, die mensch dann eben so sagt, beim Beten. Das ist nicht per se schlecht und Rituale erfüllen im (zwischen)menschlichen Alltag eine wichtige Funktion. Da wo gegangene Wege allerdings irgendwann so ausgetreten sind, dass kaum mehr Gras wächst, muss ich auf Abstand gehen.

Außerdem gab es da auch noch diesen Hinweis, dass es nicht darum gehen kann, viele Worte zu machen. Die innerlich stattfindenden Prozesse sind wesentlich wichtiger und die sind nicht unbedingt an den Worten festzumachen, dennoch kann die Wortwahl und Gewohnheiten bestimmte Gebetsverständnisse begünstigen, während andere mehr oder weniger unmöglich werden, und sei es auch „nur“ aufgrund von Gruppendynamik.

Abseits dessen, was mir jahrelang als Gebet bekannt war bewegt sich in mir ein großes Fragezeichen – warum ausgerechnet mit der großartigsten aller Existenzen oft so gekünstelt gesprochen wird. . Mich dem zu entziehen, dass das eben so gemacht wird, weil mensch das eben so macht, gelingt mir in der Gemeinschaft gerade fast gar nicht mehr.

Ganz schnell sind wir dann wieder beim männlichen Fürbitt-Gott, dem wir mit vielen Worten erzählen, was er ja gerade sieht, bevor wir ihn bitten, uns bzw denen, für die wir beten, zu helfen, den Alltag zu schaffen oder auch heikle Situationen zu bewältigen.

Ohne bestimmte Formen abwerten zu wollen, die für Menschen wichtig und gut sind, habe ich gemerkt, dass ich mit vielen von diesen Bekannten Sachen nicht mehr besonders viel anfangen kann.

Sie funktionieren einfach nicht mehr so wie bisher, sind mir zu phrasenhaft….und zu weit weg von einem Gottes- und Weltbild, mit dem ich tatsächlich die Realität verknüpfen kann.

Gleichzeitig sehne ich mich aber noch immer danach, das große Du, das liebende Gegenüber hinter aller menschlicher Existenz zu adressieren.

-Zwischenstand.-

Im Abstand zum Bekannten wurde für mich das Einfach-da-sein, das Hinspüren, das Zuhören, Präsenz, die sich einfach verbindet mit dem was ist und mit dem was werden darf, erneut wichtig.

Das hatte mir oft viel zu wenig Platz. In Gemeinschaft ist so etwas womöglich ja auch schwieriger..erst recht wenn Rahmen und/oder Gewohnheit dafür fehlen. Vor allem, wenn eine bestimmte Art von Präsenz, Zusammensein, Zusammenschweigen von anderen eben nicht als Gebet aufgefasst wird, sodass sie dann immer noch ihre Gebetsformulierungen hintenran hängen müssen, weil es sich sonst nicht richtig anfühlt (für mich fühlt es sich dadurch oft eher wie Aberglaube an.. so verschieden sind wir eben dann doch manchmal..)

Dann wieder fällt es aber auch schwer, das Schweigen auszuhalten. Ich kann das nicht besonders gut. Mir helfen dann (und auch das ist in etablierter Gemeinschaft weniger leicht zu erkunden bzw zu entwickeln) Melodien, ein Satz, ein paar Worte, Bewegung und/oder die Konzentration auf die Atmung, um ein Geländer zu haben, an dem entlang ich mich an den Ort begeben kann, an dem ich dem großen Du begegne und mich ganz in die Präsenz hüllen lassen kann, welche ich dort vorfinde, und die so auf geheimnisvolle Weise beginnt, auch in mir sich einen Weg zu bahnen.

Und dann manchmal soll es aber eben doch ein Gespräch sein. Mit Worten als Anker zwischen den Zeitformen, die meinem Ausstrecken in himmlische Sphären Halt geben und mir helfen, alle Ebenen zu verknüpfen.

Vor ein paar Wochen kam mir während eines Spaziergangs die Idee, in etwa so zu beten (ich erinnere mich leider nicht mehr genau, deshalb sind das hier nur Beispiele für Zeilen):

Ewiges, liebendes Du. .

Öffne mich für die Dankbarkeit und die Liebe.

Bewege und entfalte mich in dir, kreative Schaffenskraft.

Verbinde mich mit deiner Güte. Öffne mich dem versöhnten Leben.

Mache mich weit für die Freiheit. Sei mein innerer Schutz.

Atme Vergebung und Neuanfang. Verbinde mich mit dem Leben.

Öffne meinen Blick für dich (das lebendige liebevolle Sein) – in allen meinen Begegnungen.

Verschenke mich, teile was mir zuteil wurde.

Lasse die Schwere weiterziehen. Lass mich umarmen. verweilen. tanzen.

Um das Leben zu würdigen, in mir, und in allen Geschöpfen.

An so einer Art von Gebet mag ich, dass nicht im Mittelpunkt steht, dass Gott irgendwas für mich machen soll, sondern dass ich versuche, die Sachen, die ich um mich herum immer mehr sehen möchte, in mir selber zu entfalten. Und auch die personalen Pronomen sind stellenweise nicht eindeutig (vor jeden Satz könnte auch ein „Ich“ stehen, sodass auch klar wird, dass ich selbst für das mir geschenkte Leben Verantwortung übernehmen darf und diese nicht einfach abgebe, damit ein wie auch immer gearteter Gott mir das mal eben abnimmt.), was mich an Eckhart Tolles Erklärung zu „Sei still. Und erkenne. Ich bin. Gott.“ erinnert. So ist nämlich auf einer bestimmten Stufe gar nicht mehr so klar, ob ich mich selbst ausrichte oder Gott adressiere. So gesehen kann ich auch sagen: Mein Ausgerichtetsein auf ein nichtmenschliches Gegenüber voller geheilter Eigenschaften und Möglichkeiten führt dazu, dass ich mich selbst, meine Wirklichkeit, ausrichte auf diese Eigenschaften hin und so wieder in Balance komme, und Zukünftiges in die Gegenwart spreche.

Ich richte mich aus. Ich richte mich auf. Und natürlich nicht aus eigener Kraft, und darin besteht das Gotteslob, das genügt: ein von einer lebendigen Begegnung mit der unerschöpflichen inneren Quelle zur Liebe hin verändertes Menschenleben.

Und was ist nun mit Fürbitte?

Wenn ich auf diese Weise aus dieser Quelle geschöpft habe, dann wird anderen die Begegnung mit mir auch automatisch zum Segen werden. Und mit wem immer ich mich gedanklich, sobald möglich aber auch in einer zwischenmenschlichen Begegnung, dann verbinde, mit dieser Person verbindet sich ja auch potentiell alles an guten Sachen, womit ich mich verbunden habe. So entstehen Segenskreisläufe. Das kann mitunter eigenverantwortliches Handeln, auch außerhalb der Komfortzone bedeuten. Und auch umgekehrt, dass mir gute Dinge, die ich erfahren und entwickeln möchte, womöglich an Orten und durch Menschen zuteil werden, die selber zum Beispiel gar nicht beten. Gott ist so viel größer.

„Life isn’t about…

…finding yourself, life is about creating yourself.“ (George Bernhard Shaw)

Dieser Spruch hängt seit einer Weile über meinem Schreibtisch.

Obwohl der Verfasser dieses Spruchs schon seit siebzig Jahren tot ist, steht dieser Spruch für mich für etwas, auf das sich viele Menschen erst langsam oder noch gar nicht einlassen können, was aber etwas sehr hilfreiches ist in meinen Augen – eine konstruktivistische Denkweise. Sehr oft wird das auch missverstanden, so als ob Konstrukte nicht wirklich im Sinne von wirksam seien… dann lieber an Überzeugungen klammern, die mir sagen ich könne herausfinden „wie es wirklich ein für alle Mal für alle gültig ist“. .

Und genauso leben viele auch ihren Glauben (Life is about finding faith…einmal den richtigen Glauben gefunden muss ich diesen nur noch behalten und dann ist alles gut..) und möchten auch ihr Gottesbild, ihren Gott, einmal für immer finden. In einem bekannten freikirchlichen Lobpreislied heißt „Wir wollen dich erkennen, wie du wirklich bist“. . an dem Punkt, wo ich mich jetzt befinde, kommt mir diese Bitte seltsam und von Gott so auch gar nicht erfüllbar vor. Im Gegenteil – Ich bin froh, dass Gott (?) mich durch mein Studium und Freunde an den Konstruktivismus herangeführt hat.. weil genau das mein Herz gegenüber verschiedenen Überzeugungen, Haltungen und Glaubensrichtungen weiter macht. Passender wäre für mich zu bitten „wir wollen erkennen, welche Vorstellungen von dir und Erlebnisse mit dir auf welche Weise in unserem Leben wirksam sind“. Oder „wir wollen dich noch anders kennenlernen, als unsere Prägungen es uns vorgeben“. (Klingt zugegeben etwas sperrig für einen Liedtext ;-)). Wir wollen dich sein lassen, wie du noch sein kannst… und uns eingestehen, dass wir dich auf eine Art zu dem machen an was wir glauben. Denn sonst gäbe es doch auch nicht so unterschiedliche Gottesbilder und Arten, den Glauben zu praktizieren.

Wenn ich mir anschaue, wie pluralistisch allein die christliche Glaubenslandschaft aufgestellt ist, wie verschieden da geglaubt, gedacht und gehandelt und verkündigt wird, ist mir die Vorstellung, jede dieser unterschiedlichen Gemeinschaften hätte einen kleinen Teil dessen, ‚wie Gott wirklich ist‘, begriffen, oder aber – eine Gruppe hätte nahezu alles davon erkannt, ein bisschen absurd.

(Ist letzteres der Fall, müsste ich mich ständig fragen, ob ich der bestmöglichen Gruppierung angehöre, den „richtigsten“ aller Glauben also gefunden habe.. und müsste die anderen in irgendeiner Form bekämpfen, abwerten usw. Ist allerdings ersteres der Fall, dann kann keine Gruppierung für sich in Anspruch nehmen, tatsächlich mit Gott unterwegs zu sein, sondern lediglich mit einem Teil von ihm, und welcher, ist ihnen selbst womöglich völlig unklar. Wie kann so noch ein personales Du adressiert werden..?)

Für mich ist es naheliegender, es so zu beschreiben: Alle machen sich Bilder von Gott und keines entspricht dem, wie Gott „wirklich ist“, sondern das, was Gottes Wesen und Wirken ist, kann sich anhand der Bilder, die wir uns machen, entsprechend entfalten – oder eben auch nicht. (Ob das, was wir sehen, was sich entfaltet, wiederum von uns einem Gott zugeschoben wird, oder nicht, steht sowieso nochmal auf einem anderen Blatt).

Wie oft habe ich in Gebeten gehört, dass „Gott einen Plan für dein/mein Leben“ habe… und heute denke ich mir so – nein, sorry! Gott hat mir mein Leben geschenkt. (Indirekt, indem eine von mir als Gott bezeichnete Kraft bei der Entstehung menschlichen Lebens inspirierend anwesend war und ist). Und das doch aber eben nicht um dann damit zu planen. Ich bin nicht sein Humankapital. Geschenk ist Geschenk und nicht zweckgebunden. Und es geht auch nicht um mich. Es geht um Menschen an sich.

Wenn Gott tatsächlich einen Plan hat, dann doch wohl den allgemeinen, dass Menschen lernen, menschlich miteinander umzugehen.

Was ich dafür konkret in meiner Zeit, Gesellschaft, Situation, beisteuern kann – dafür brauche ich keinen Plan rausfinden, dafür brauche ich Persönlichkeitsentwicklung und Raum zur Entfaltung. Und ein Einlassen auf diese teife innere unbekannte Inspirationsquelle, die ich als göttliches Gegenüber sowohl rational als auch intuitiv lernen kann zu erfahren..

Das ist eine andere Herangehensweise, die von außen ähnlich aussehen kann, hinter der allerdings eine ganz andere Haltung steht. Für mich ist diese Haltung heilsam.

Mir hilft es nicht mehr, Bücher zu sehen oder Predigten zu hören, die Menschen erzählen, es gäbe eine von Gott angeordnete konkrete Berufung für sie, die es nur herauszufinden und zu erfüllen gilt. Manchen mag das helfen, andern aber eben nicht. Bei vielen Menschen machen solche Aussagen sehr viel kaputt und bauen Druck auf. Und für die braucht es andere Botschaften. Zum Beispiel die: Ich darf mich von Gott inspirieren lassen und mir meine Berufung durch einen lebendigen Prozess, der kreative Begegnungen mit diesem Gott enthält, selbst erschaffen.

Wenn ich zu etwas berufen bin, dann dazu, auf mich selbst zurückgeworfen zu sein und meinem Leben eine Bedeutung und Berufung zuzuweisen. ((Hashtag Existenzialismus). Ich darf schöpferisch tätig sein. Und muss das sogar. Hallelujah, Empowerment für alle! Sounds like Jesus to me.

Ich selbst darf herausfinden, was mir liegt, mich interessiert, mein Herz schlagen lässt, mich vital macht – und genau das darf ich dann tun. Und wenn ich etwas anderes tue, dann ist das so. Ich brauche nicht mehr meine Berufung herausfinden. Wenn ich am richtigen Fleck bin, werde ich das schon merken, weil mein Umfeld mir das spiegelt und weil mein Leben sich stimmig anfühlt. (oder im Christensprech: weil es gute Früchte hervorbringt, was ich da tue. Also weil es mich und andere nährt). Weil mein Handeln in Resonanz mit meinen Haltungen und Bedürfnissen und denen anderer ist.

Um noch einen Schritt weiterzugehen- ich darf mir meinen Glauben und mein Gottesbild konstruieren – ich muss es sogar. Alle tun das ohnehin. Jede Person, welche die Bibel liest, erzeugt mit dem Hintergrund, den sie mitbringt, Bedeutungszusammenhänge für ihr Leben – oder auch nicht. Und diese unterscheiden sich.

Für manche mag der Ansatz ketzerisch sein, für andere vielleicht überlebenswichtig – wir basteln uns einen Gott und einen Glauben, der uns entspricht. Und suchen uns eine Gemeinschaft, die dazu passt und basteln uns auch diese zurecht.

Und so wie manche eben (in guter alter Tradition) sich einen Gott kreiert haben (und den nun kämpferisch zu bewahren versuchen), der bestimmte Eigenschaften hat (wie z.B. männlich) und bestimmte Menschen vom Glauben ausschließt, kreire ich mir eine:n, der:die für alle Menschen da ist und vielleicht ganz anders ist, als ich es mir bisher vorgestellt habe. (Ob ich den noch kämpferisch bewahren muss, überlege ich mir noch 😉 Ich hoffe nicht.)

Beispiel: So, wie Paulus an einer Stelle gerafft hat (was wäre passiert, wenn nicht?!), dass auch nichtjüdische Menschen zur Familie Gottes gehören können, und nicht nur Juden, so ist es vielleicht an der Zeit, zu überlegen, ob auch nichtchristliche Menschen dazu gehören können… ?

Fazit: Inwiefern darf, kann und muss sich Glauben und unser Bild davon, wie Gott ist, ändern, um heute wirklich heilsam für Menschen sein zu können? Wie lassen wir Gott sein, wie lassen wir Gott nicht sein?

Gott ist Mensch geworden, Gott ist gestorben, also liegt doch die Vermutung nahe- eine Änderung seines:ihres Zustands scheint nicht unbedingt das Problem zu sein – außer für uns Menschen…. ?!